Fürs Volk oder für ein besseres Leben? Redebeitrag auf einer Donnerstagsdemo am 26.8.2004

von p83
veröffentlicht von p83 am 28.08.2004
In Magdeburg wurde die erste Montagsdemonstration vor drei Wochen von Neonazis angeführt. Letzte Woche in Suhl ist das selbe passiert.

Wir sind froh, daß das in Erfurt nicht so ist. Es ist wunderbar, daß hier für ein besseres Leben für alle Menschen demonstriert wird. Es ist wichtig, daß wir uns nicht spalten lassen und solidarisch gerade auch für diejenigen eintreten, die auf der sozialen Trittleiter noch tiefer stehen als Arbeitslose mit Deutschem Pass.

Wir sagen es nicht gerne, aber wir müssen auch anmerken, daß es kein Zufall ist, daß Nazis auf Montagsdemonstration auftauchen. Es ist nicht einfach nur so, daß diese Gestalten die Demos für ihre Zwecke missbrauchen.
Nein, es ist auch so, daß ein Begleiter bei vielen Montagsdemos gut Freund der nationalistischen Ideologie ist.
Wir spreche vom "Volk" - Wer das Volk ruft, muss sich eigentlich nicht wundern, wenn es völkisch zurückschallt. Nazis haben mit der Parole "Wir sind das Volk" ganz sicher keine Probleme. Klar, denn das "Volk", dieses "Deutsche Volk", dem es besser gehen soll, ist auch das Lieblingsvolk der Neonazis.

Um es klarzustellen: Uns geht es hier nicht um das Wohl des deutschen Volkes sondern um das der Bevölkerung. Damit meinen wir eben auch Nichtdeutsche, Asylbewerber, Illegalisierte und andere Leute, die nicht zu diesem Deutschen Volk dazugehören wollen uns sollen.

Dieses "Volk", daß da bei den Nazis bemüht wird, hat auch einen großen Bruder. Der große Bruder des Volks ist der "Standort", der bei der SPD so wichtig ist. Für beide, für Volk und Standort gilt, daß sie viel viel wichtiger sein sollen, als die einzelnen Menschen. Damit der Standort brummt, muß die Sozialhilfeempfängerin schon mal hungern. Damit es dem Volk gut geht, müssen die Volksverräter - Juden, Schwule, Lesben, Kommunisten, Arbeitsscheue - bekämpft werden.

Die Logik ist die selbe: Damit es dem Standort - oder dem Volk - besser geht, muss es den Einzelnen schlechter gehen.

Und genau das ist Harz 4, das ist Agenda 2010.
Hartz 4 ist ein vorläufiger Höhepunkt der Zumutungen und Schikanen für Arbeitslose. Natürlich wäre es am besten, das Gesetz zu verhindern. Aber wir brauchen nicht so zu tun, als ob damit alle Proleme gelöst wären.

Sozialhilfeempfängerinnen, Arbeitslose und Billiglohnempfängerinnen wissen ganz genau, daß man auch jetzt schon jeden Cent zweimal rumdrehen muss.

Sie wissen genau, daß auch nach der dritten Weiterbildungsmassnahme, dem vierten Bewerbungstraining und der fünften Motivationsmasßnahme kein Weg aus der Arbeistlosigkeit führt.

Kein Wunder, haben wir doch dank modernster Maschinenparks die Möglichkeit, fast jeden erdenklichen Reichtum fast ohne Arbeiterinnen herzustellen.
Aber anstatt das einzusehen und nach Wegen zu suchen, ohne Arbeit ein gutes Leben möglich zu machen, veranstalten Arbeitsagenturen und Sozialämter Treibjagden auf Arbeitslose.
Perspektiven gibt es keine. Die Masse von Leuten, die nicht mehr gebraucht werden, steigt weltweit an und wird überall schikaniert.

Wir haben es letzte Woche hier gehört und werden es gleich beim offenen Mikro weiter hören: Wer zwischen Ich-AG, Billiglohn und Sozialamt lebt hat, gerade als Familie, kaum noch das Geld, schwimmen oder ins Kino zu gehen.

Wir haben auch gehört, daß es "denen da Oben" gut geht, daß sie fünf Autos haben und - wenn sie wollen - nur Sahnetorte essen.
Wenn wir "denen da oben" nun neidisch vorwerfen, daß sie Torte essen, schneiden wir uns ins eigene Fleisch.
Denn die Lösung ist nicht trocken Brot für alle. Nein, die Lösung ist, daß jeder Mensch die Möglichkeit haben muss, Torte zu essen. Die Ressourcen für ein gutes Leben müssen allen offen stehen, egal, ob sie als Politiker im Bundestag sitzen, ob sie Managerin sind oder ob sie keine Arbeit haben.

Nur so als kleine Beispiele fallen einem unter dieser Vorgabe gleich viel mehr Forderungen ein als die Rücknahme der Agenda 2010. z.B.
  • daß die EGA kostenlos genutzt werden kann
  • daß Schwimmbäder keinen Eintritt kosten
  • daß das Studium an Universitäten allen offen steht, nicht nur denen, die reiche Eltern haben
  • daß der öffentliche Personennahverkehr kostenlos sein muss
Daß man im Durchschnitt die Hälfte des Einkommens für Wohnraum ausgibt, wo doch in Erfurt massenhaft Häuser leerstehen, ist ein Witz - warum kann der leerstehende Wohnraum nicht von denen genutzt werden, die wollen - warum müssen die HausbesetzerInnen hier in Erfurt sich mit Polizei und Stadt rumschlagen, wo doch das besetzte Gelände seit Jahren leer stand und jetzt genutzt wird.

Bei Brecht heißt es: Wir wollen mal feststellen, daß nur Fensterscheiben - Schaufensterscheiben - und von dem Guten trennen was uns fehlt.
Brecht hatte recht. Wenn genügend Güter für alle vorhanden ist, müssen wir uns vielleicht einfach mal überlegen, was uns daran hindert, uns zu nehmen, was wir brauchen.

Vielleicht versteht Ihr jetzt ein wenig besser, warum auf diesen Demos "Alles für alle uns zwar umsonst" gerufen wird.

Ich höre auf diese beispielhaften Vorschläge schon die Einwände. Die PDS fragt, wer das bezahlen soll und der DGB macht sich sorgen, daß die Straßenbahn nicht pünktlich kommt, wenn wir ohne Fahrschein fahren, andere sagen klipp und klar, daß das alles aber im kapitalistischen System nicht geht.

Unsere Antwort darauf kann nur sein: Wenn die Regeln des kapitalistischen Systems einem Guten Leben für alle Menschen im Wege stehen, dann ist es höchste Zeit, diese Regeln zu ändern.

Kommentare

Sascha Möckel schrieb am 21.03.2005
ZITAT: Die PDS fragt, wer das bezahlen soll und der DGB macht sich sorgen, daß die Straßenbahn nicht pünktlich kommt, wenn wir ohne Fahrschein fahren, andere sagen klipp und klar, daß das alles aber im kapitalistischen System nicht geht.

... ich kann nur für mich als PDS Mitglied sagen, dass ich keine Fragen stelle wie man das bezahlen soll.

Einigen von uns geht es z.B. um den Umbau des Steuersystems ... klar ... systemimmanent, und deshalb wieder zu kritisieren, das wird ja auch in einem anderen Text schon getan. Aber der obengenannte Fakt ist trotz allem nicht richtig.

Die Kapitalismuskritik ist natürlich das zentrale, da gebe ich euch recht, aber ich zumindest kann mich undogmatisch auf verschiedenen Ebenen bewegen.

ZITAT2:Unsere Antwort darauf kann nur sein: Wenn die Regeln des kapitalistischen Systems einem Guten Leben für alle Menschen im Wege stehen, dann ist es höchste Zeit, diese Regeln zu ändern.

Aha ... und wo steht ihr? Nur die Regeln ändern das System aber beibehalten? Das befremdet mich etwas.

Sascha