Gemeinsam gegen Kulturabbau - bei Theater und Oper und anderswo

von p83 [AG Kulturabbau]
veröffentlicht von p83 am 28.11.2006
Flugblatt anlässlich der Proteste gegen Kulturabbau in November 2006 in Erfurt

Wir – Erwerbslose, prekär Beschäftigte, Student_innen, Überflüssige1, unterstützen euren Protest gegen die Kürzungen im kulturellen Bereich.

Die Sparpolitik der öffentlichen Hand trifft Euch an den Orchestern und Theatern nun ähnlich wie uns schon vorher in anderen Bereichen.

Wir sind hier, weil wir euch unterstützen wollen. Wir denken, daß soziale Errungenschaften gemeinsam verteidigt werden müssen. Ein erfolgreiches Eintreten gegen die Zumutungen des Rotstifts ist nur zu haben, wenn wir unsere Kämpfe verbinden und gegenseitig solidarisch auch für die Interessen der Anderen eintreten. Denn ist der Abbau der Mittel für Theater und Orchester vorerst auf 2007 verschoben, sind die Kürzungen in anderen Bereichen bereits beschlossen und abgewickelt.

Deswegen wollen wir eure Proteste unterstützen, aber gleichzeitig auf unsere Kämpfe aufmerksam zu machen:
  • Selbstorganisierte Projekte in Kultur und Bildung arbeiten unter immer schwereren Bedingungen. Wenn überhaupt, dann prekär finanziert, am Rande der Räumung, immer unter dem Druck der Frage, ob der nächste Monat, das nächste Seminar oder das nächste Konzert noch stattfinden kann, wuseln wir uns durch die Zumutungen des Systems
  • Arbeitslose bekommen durch Harz 4 immer weniger Geld und unterliegen unter der Knute der Arbeitsagentur einem rigiden Arbeitszwang, der sie zu qua Definition sinnlosen 1-Euro-Jobs und Massnahmen zwingt
  • Student_innen, die keine reichen Eltern haben fragen sich, ob sie noch zu Ende studieren können, wenn Studiengebühren eingeführt werden
  • Jugendclubs und kleine Träger sozialer Dienste kämpfen mit der Abwicklung
  • Beschäftigte in Dienstleistungen und anderswo kämpfen mit unzumutbaren Arbeitsbedingungen und lächerlichen Löhnen
  • Für uns alle gilt: Wir können uns schon fast nicht mehr die Rundfunkgebühren leisten, geschweige denn einen Konzertbesuch

Wir wären erfreut, Euch auch bei diesen Kämpfen anzutreffen.

Wir sehen auf gesellschaftlicher Ebene eine verbindende Klammer um die Kürzungen hier wie dort: In Zeiten des Neoliberalismus wird der Staat umgebaut, zieht sich auf die Gewährleistung von Sicherheit zurück und weist die Finanzierung eines sozialen und kulturellen Sektors von sich. Analytisch ist das leicht zu erklären: mit dem Ende der Systemkonkurrenz 1989 ist die Notwendigkeit verschwunden, zu beweisen, dass ein Kapitalismus mit menschlichem Antlitz möglich ist, außerdem sind die Gegenbewegungen viel zu schwach. Die einzige Perspektive für wirksamen Gegendruck ist die gegenseitige Vernetzung unserer Kämpfe.

Deswegen treten wir heute ein für eine üppige Förderung für Orchester und Theater.

Aber das reicht nicht aus: Unser Recht auf Kultur können wir auch bei großzügiger Förderpolitik derzeit nur in Nischen erfüllen. Beethoven live wie am heutigen Abend ist für Überflüssige wie uns im Alltag kaum möglich, weil wir den Eintritt nicht bezahlen können. Deshalb wollen wir mehr als Fördermittel: Kultur muss für alle Menschen frei zugänglich sein. „Frei zugänglich“ heißt im kapitalistischen Rahmen: kostenlos.

Unmöglich?

Unsere Gesellschaft muss sich entscheiden, ob sie will, dass die Teilnahme an „Hochkultur“ eine elitäre Angelegenheit finanziell ausgestatteter Kreise ist oder alle Menschen partizipieren sollen – gleiches gilt für den Zugang zu Bildung, guter Ernährung, Bibliotheken, Kindergärten, etc.

Letztlich muss diese Gesellschaft entscheiden, ob auch wir – Erwerbslose, Punker_innen, Überflüssige – zu eurem Publikum zählen dürfen.

Lautet die Antwort „Ja“, dann muss Kultur für alle möglich gemacht werden – und zwar kostenlos.

Wenn das nicht möglich ist – wenn also der Kapitalismus verhindert, dass Kultur unter Bedingungen produziert wird, die allen Menschen Teilhabe und den Kulturschaffenden ein angemessenes Auskommen ermöglicht – dann müssen wir eben den Kapitalismus abschaffen.






Werbeblock zur "anderen Seite" der Kultur, die immer prekär und ständig bedroht ein Angebot aufrecht erhält:

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